Ein Mensch der schauet Gott
Ein Thier den Erdkloß an
Auß diesem / was er sey /
Ein jeder kennen kan.
GOTT UND SEELE
Halt an, wo läufst du hin, der Himmel ist in dir;
Suchst Du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.
MENSCH UND WELT
Der Himmel ist in dir und auch der Höllen Qual:
Was du erkiest und willst, das hast du überall.
Das größte Wunderding ist doch der Mensch allein.
Er kann, nachdem ers macht, Gott oder Teufel sein.
Zwei Menschen sind in mir: Der eine will, was Gott,
Der andre, was die Welt, der Teufel und der Tod.
Was gaffst du viel, mein Mensch? Der Antichrist unds Tier
– Im Fall du nicht in Gott – sind alle zwei in dir.
Du bist die Babel selbst; gehst du nicht aus dir aus,
So bleibst du ewiglich des Teufels Polterhaus.
Ein Mensch, der wie das Vieh in alle Lust ausbricht,
Ist nur ein Larvenmensch: er scheint und ist doch nicht.
Die Welt, die hält dich nicht, du selber bist die Welt,
Die dich in dir mit dir so stark gefangen hält.
Nichts ist, das dich bewegt, du selber bist das Rad,
Das aus sich selbsten läuft und keine Ruhe hat.
Du selber machst die Zeit, das Uhrwerk sind die Sinnen;
Hemmst du die Unruh nur, so ist die Zeit von hinnen.
Der Mensch, der seinen Geist nicht über sich erhebt,
Der ist nicht wert, daß er im Menschenstande lebt.
Mensch, alls, was außer dir, das gibt dir keinen Wert,
Das Kleid macht keinen Mann, der Sattel macht kein Pferd.
Mensch, hüte dich vor dir! Wirst du mit dir beladen,
Du wirst dir selber mehr als tausend Teufel schaden.
Mensch, alles was du willst, ist schon zuvor in dir;
Es lieget nur an dem, daß dus nicht wirkst herfür.
Mensch, wo du Tugend wirkst mit Arbeit und mit Müh,
So hast du sie noch nicht, du kriegest noch um sie.
Mensch, wo du noch was bist, was weißt, was liebst und hast,
So bist du, glaube mir, nicht ledig deiner Last.
Mensch, werde wesentlich; denn wenn die Welt vergeht,
So fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht.
MENSCH UND GOTT
Die Sünd ist anders nichts, als daß ein Mensch von Gott
Sein Angesicht abwendt und kehret sich zum Tod.
Mit Ichheit suchest du bald die, bald jene Sachen;
Ach, ließest dus doch Gott nach seinem Willen machen.
Der Ichheit ist Gott feind, Verleugnung ist er hold,
Er schätzt sie beide so, wie du den Kot unds Gold.
Wer sich nicht drängt zu sein des Höchsten liebes Kind,
Der bleibet in dem Stall, wo Vieh und Knechte sind.
Wenn dich nach Gott verlangt und wünschst sein Kind zu sein,
Ist er schon vor in dir und gibt dir solches ein.
Du darfst zu Gott nicht schrein, der Brunnquell ist in dir;
Stopfst du den Ausgang nicht, er fließet für und für.
Meinst du, o armer Mensch, daß deines Munds Geschrei
Der rechte Lobgesang der stillen Gottheit sei?
Wer Gott um Gaben bitt, der ist gar übel dran;
Er betet das Geschöpf und nicht den Schöpfer an.
Mensch, laß die Gaben Gotts und eil ihm selbsten zu,
Wo du an Gaben bleibst, so kömmst du nicht zur Ruh.
Mensch, so du Gott noch pflegst um dies und das zu danken,
Bist du noch nicht versetzt aus deiner Schwachheit Schranken.
Mensch, so du wissen willst, was redlich beten heißt,
So geh in dich hinein und frage Gottes Geist.
Mensch, alles schreit dich an und predigt dir von Gott,
Hörst du nicht, daß es ruft: Lieb ihn, so bist du tot.
Mensch, liebst du Gott, den Herrn, und suchest Lohn dabei,
So schmeckest du noch nicht, was Lieb und lieben sei.
Mensch, suchst du Gott um Ruh, so ist dir noch nicht recht:
Du suchest dich, nicht ihn, bist noch nicht Kind, nur Knecht.
Mensch, wenn du noch nach Gott Begier hast und Verlangen,
So bist du noch von ihm nicht ganz und gar umfangen.
Mensch, denkst du Gott zu schaun, dort oder hier auf Erden,
So muß dein Herz zuvor ein reiner Spiegel werden.
Mensch, tu die Augen auf, der Himmel steht ja offen.
Du hast dich mit der Welt, wo dus nicht siehst, besoffen.
Mensch, glaube dies gewiß, wo du nicht lebst in Gott,
Lebst du gleich tausend Jahr, du bist solange tot.
GOTT UND MENSCH
Gott ist noch nie gewest und wird auch niemals sein
Und bleibt doch nach der Welt, war auch vor ihr allein.
Gott hat sich nie bemüht, auch nie geruht, das merk.
Sein Wirken ist sein Ruhn und seine Ruh sein Werk.
Gott ist ein lauter Nichts, ihn rührt kein Nun noch Hier:
Je mehr du nach ihm greifst, je mehr entwird er dir.
Gott ist so über alls, daß man nichts sprechen kann,
Drum betest du ihn auch mit Schweigen besser an.
Gott ist ja nichts als gut: Verdammnis, Tod und Pein,
Und was man böse nennt, muß Mensch in dir nur sein.
Gott gibt sich ohne Maß: je mehr man ihn begehrt,
Je mehr und mehr er sich erbietet und gewährt.
Gott, weil er groß ist, gibt am liebsten große Gaben;
Ach, daß wir Arme nur so kleine Herzen haben!
Gott schätzt nicht, was du Guts, nur wie du es getan;
Er schaut die Früchte nicht, nur Kern und Wurzel an.
Gott läßt dich jede Zeit gar gern in Himmel ein;
Es stehet nur bei dir, ob du willst selig sein.
GOTTESGEBURT UND VERWANDLUNG
Zwei Augen hat die Seel; eins schauet in die Zeit,
Das andre richtet sich hin in die Ewigkeit.
Wenn du willst grades Wegs in ewge Leben gehn,
So laß die Welt und dich zur linken Seiten stehn.
Ich glaube keinen Tod; sterb ich gleich alle Stunden,
So hab ich jedesmal ein besser Leben funden.
Ich sage, weil allein der Tod mich machet frei,
Daß er das beste Ding aus allen Dingen sei.
Mensch, stirbest du nicht gern, so willst du nicht dein Leben;
Das Leben wird dir nicht als durch den Tod gegeben.
Stirb, ehe du noch stirbst, damit du nicht darfst sterben,
Wenn du nun sterben sollst, sonst möchtest du verderben.
Mensch, was du liebst, in das wirst du verwandelt werden.
Gott wirst du, liebst du Gott, und Erde, liebst du Erden.
Die Liebe geht zu Gott unangesagt hinein,
Verstand und hoher Witz muß lang im Vorhof sein.
Der nächste Weg zu Gott ist durch der Liebe Tür;
Der Weg der Wissenschaft bringt dich gar langsam für.
Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren
Und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.
Das Kreuz zu Golgatha kann dich nicht von dem Bösen,
Wo es nicht auch in dir wird aufgericht, erlösen.
Berührt dich Gottes Geist mit seiner Wesenheit,
So wird in dir geborn das Kind der Ewigkeit.
So viel die Seel in Gott, so viel ruht Gott in ihr;
Nichts minder oder mehr, Mensch, glaub es, wird er dir.
Je mehr du dich aus dir kannst austun und entgießen,
Je mehr muß Gott in dich mit seiner Gottheit fließen.
Gott ist so nah bei dir mit seiner Gnad und Güte,
Er schwebt dir wesentlich im Herzen und Gemüte.
Blüh auf, gefrorner Christ, der Mai ist vor der Tür,
Du bleibest ewig tot, blühst du nicht jetzt und hier.
Aus Gott wird man geborn, in Christo stirbet man
Und in dem heilgen Geist fängt man zu leben an.
In Christo sterben wir, stehn auf im heilgen Geist,
Im Vater werden wir für Kinder Gotts gepreist.
Freund, so du etwas bist, so bleib doch ja nicht stehn,
Man muß aus einem Licht fort in das andre gehn.
Freund, gönn es doch der Welt, ihr gehts zwar wie sie will,
Doch ist ihr ganzes Tun nichts als ein Trauerspiel.
WIRKEN UND RUHN
Der Regen fällt nicht ihm, die Sonne scheint nicht ihr,
Du auch bist anderen geschaffen und nicht dir.
Gott muß der Anfang sein, das Mittel und das Ende,
Wo ihm gefallen solln die Werke deiner Hände.
Der Gott in allem Tun von Herzen loben kann,
Der hebt schon in der Zeit das ewge Leben an.
Geschäftig sein ist gut, viel besser aber beten;
Noch besser: Stumm und still vor Gott, den Herren, treten.
Lieb üben hat viel Müh: wir sollen nicht allein
Nur lieben, sondern selbst, wie Gott, die Liebe sein.
Fragst du, was Gott mehr liebt, ihm wirken oder ruhn?
Ich sage, daß der Mensch, wie Gott, soll beides tun.
Wie mag dich doch, o Mensch, nach etwas tun verlangen,
Weil du in dir hältst Gott und alle Ding umfangen?
ZIEL: GELASSENHEIT
Die Seel, ein ewger Geist, ist über alle Zeit,
Sie lebt auch in der Welt schon in der Ewigkeit.
O Wesen, dem nichts gleich! Gott ist ganz außer mir
Und inner mir auch ganz, ganz dort und auch ganz hier.
Die Liebe, wenn sie neu, braust wie ein junger Wein;
Je mehr sie alt und klar, je stiller wird sie sein.
Zeit ist wie Ewigkeit und Ewigkeit wie Zeit,
So du nur selber nicht machst einen Unterscheid.
Man redt von Zeit und Ort, von Nun und Ewigkeit:
Was ist denn Zeit und Ort und Nun und Ewigkeit?
Der, was er hat, nicht hat und alles schätzet gleich,
Der ist im Reichtum arm, in Armut ist er reich.
Die Rose, welche hier dein äußres Auge sieht,
Die hat von Ewigkeit in Gott also geblüht.
Die Ros ist ohn warum; sie blühet, weil sie blühet,
Sie acht nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie siehet.
Christ, du bedarfst nicht viel zur ewgen Seligkeit,
Es hilft ein einzigs Kraut, das heißt Gelassenheit.
Ein Narr ist viel bemüht; des Weisen ganzes Tun,
Das zehnmal edeler, ist Lieben, Schauen, Ruhn.
Der Weise, welcher sich hat über sich gebracht,
Der ruhet, wenn er läuft, und wirkt, wenn er betracht.
Der Weise, wenn er stirbt, begehrt in Himmel nicht,
Er ist zuvor darin, eh ihm das Herze bricht.
Wie, daß den Weisen nie betrübet Weh und Leid?
Er hat sich lang zuvor auf solchen Gast bereit.
BESCHLUSS
Freund, es ist auch genug. Im Fall du mehr willst lesen,
So geh und werde selbst die Schrift und selbst das Wesen.